Frage:
Widersprechen sich Dimensionen sozialer Gerechtigkeit?
anonymous
2009-11-15 10:38:47 UTC
Widersprechen sich Chancen-,Verfahrens-, Teilhabe-, Leistungs-,Ergebnis-, Bedarfs- und Verteilungsgerechtigkeit??

Welche Beispiele dafür gibt es??
Fünf antworten:
Schleier des Nichtwissens
2009-11-16 16:54:22 UTC
Na klar, notwendigerweise.



Rivalisierende Gerechtigkeitstheorien schließen einander aus.



Ein relativ unstrittiges Prinzip ist die Verfahrensgerechtigkeit, da sie auf anderer Aspekte als Chancen- oder Leistungsgerechtigkeit abzielt.

Alle anderen Gerechtigkeitsvorstellungen rivalisieren.

Angesichts der bisherigen sehr guten Antworten nur ein paar Ergänzungen:

Chancengerechtigkeit fordert, dass Menschen unabhängig ihrer Herkunft gleiche Chancen haben. Das ist ein Prinzip, das von gleichen Möglichkeiten ausgeht. Faktisch haben aber Menschen aufgrund verschiedener Determinanten unterschiedliche Ausgangspunkte, die durch die Chancengerechtigkeit nicht ausgeglichen werden.

Ergebnisgerechtigkeit und Bedarfsgerechtigkeit sind relativ klar, beide stehen in Konkurrenz zur Leistungs- und Chancengerechtigkeit.



Auch innerhalb der von Dir genannten Kategorien gibt es Varianten , die einander ausschließen. Was ist Leistung? Die objektive Leistung oder die subjektive Leistung? Wer leistet mehr: Der 'Gesunde', dessen Werk mehr Ertrag bringt als der 'Behinderte', der weniger bewirkt, aber sich mehr reinhängt?

Oder Chancengerechtigkeit: Was fließt in die Berechnung ein? Einige Menschen haben schlechtere finanzielle Voraussetzungen, sie scheuen daher das Risiko eines Studiums. Soweit die klassische Chancengerechtigkeit. Was aber ist mit Menschen mit Behinderungen, charakterlichen oder intellektuellen oder psychischen Einschränkungen? Hat ein depressiver Mensch die gleichen Chancen wie ein 'gesunder'? Ist es eine Frage der Gerechtigkeit, ob körperliche oder andere durch von Geburt an bestehenden Defizite ausgeglichen werden müssen?



Wie steht es um die Marktwirtschaft, Angebot und Nachfrage regulieren den Preis: Leistet Klose oder Neuer mehr als ein exzellenter Chirurg, der weit weniger verdient?



Aber die Tatsache, dass die unterschiedlichen Gerechtigkeitstheorien miteinander nicht in Einklang zu bringen sind, ist nur ein Problem der Gerechtigkeit: Ist Gerechtigkeit alles? Was ist mit Gnade oder Fairness? Was ist mit konkurrierenden Gütern wie Freiheit, glück für die größtmögliche Zahl oder Menschlichkeit?



Kurz: Mit dem Kampfbegriff der Gerechtigkeit lassen sich völlig unvereinbare Gesellschaftsentwürfe veteidigen. Zu bedenken ist, dass dabei der Gerechtigkeitsbegriff gelegentlich instrumentalisiert wird (wenn einer völlig unethisch motivierten Forderung der Deckmantel der Gerechtigkeit verliehen wird), und dass zu respektieren ist, dass es völlig gegenteilige Auffassungen von Gerechtigkeit gibt, die von Gegner nicht als unethisch und ungerecht postuliert werden sollten. Auch wenn wir konträre Gerechtigkeitskonzeptionen haben sollten, wäre es unredlich, dem Anderen ein Gerechtigkeitsempfinden abzusprechen.



Und: Gerechtigkeitstheorien haben im Laufe der Geschichte an Umfang zugenommen. Denn es zeigt sich, dass fast jedes Gerechtigkeitsprinzip in der Anwendung zu ungerechten Einzelfällen führen kann. Auch derzeitige Gerechtigkeitstheorien, die z. T. eine Kombination aus den von Dir aufgeführten Dimensionen sozialer Gerechtigkeit darstellen (wie z. B. von Rawls), können einige Widersprüche nicht auflösen.
?
2009-11-15 21:59:15 UTC
Selbstverständlich widersprechen sich diese Gerechtigkeitsbegriffe in konkreten Einzelfällen oder Fallgruppen. Gerechtigkeit ist an sich eine hohle Worthülse. Erst wenn ausgeführt wird, was damit gemeint ist, wir klar, worum es geht. Dann treten auch die Widersprüche aus.



Bedarfgerechtigkeit geht z.B. davon aus, dass dem Bedarf entsprechend zugeteilt wird. Damit bekommt aber jeder etwas anderes. Die Bemessung des Bedarfs muss dann standardisiert und nachvollziehbar sein. Da gibt es bestimmt sinnvoll Spielräume, wie z.B. eine Mietkomponente im BAFöG.

Bei der Verteilungsgerechtigkeit bekommt jeder das Gleiche. Das scheint auf den ersten Blick sehr gerecht, hat aber den Nachteil, dass konkrete Lebensumstände nicht berücksichtigt werden. Wohnen in München ist z.B. ungleich teurer als auf dem flachen in Land in Brandenburg.



Chancengleichheit bestimmt, dass jeder die gleiche, faire Chance haben muss, etwas aus sich zu machen. Wenn das nicht geschieht, ist der Betroffene selbst schuld. Bei der Teilhabegerechtigkeit entfällt weitgehend die Leistungskomponente. Es lohnt sich also gar nicht wirklich sich anzustrengen...
Tina
2009-11-16 20:01:07 UTC
Chancengleichheit ist Quatsch und eine Lüge: Der eine wird gemobbt, der andere hat Lehrer als Eltern (die immer Zeit haben und Nachhilfe geben können), der andere Vater ist streng, der eine säuft, der andere geizig.
Jerry
2009-11-15 18:45:46 UTC
Selbstverständlich widersprechen die sich.

Nehmen wir mal einen ganz einfachen Fall:

Chancen- und Leistungsgerechtigkeit zielen in erster Linie darauf ab, daß jeder die gleichen Voraussetzungen hat und die dementsprechenden Resultate erreichen darf. Wer mehr leisten kann oder will, bekommt mehr. Das ist in erster Linie die Art von Gerechtigkeit, die vom Liberalismus vertreten wird.

Bedarfsgerechtigkeit zielt darauf ab, daß jeder entsprechend seinen Bedürfnissen unterstützt wird, also zwei Menschen, von denen der eine leistungsfähiger ist, die aber beide den selben Unterhalt benötigen, das Gleiche erhalten. Diese Form von Gerechtigkeit wird im Sozialismus angestrebt.



Das schlägt sich in erster Linie von staatlicher Seite in der Form der Besteuerung nieder. Die einfachste Form der Besteuerung, die sich absolut auf die Leistungsgerechtigkeit stützt, ist die Kopfsteuer. Jeder zahlt gleich viel. Es folgt auf der Skala die Einheitssteuer - jeder zahlt den gleichen Anteil seines Erwerbs. Das andere Ende des Spektrums bietet die progressive Besteuerung. Je mehr man verdient, desto mehr gibt man anteilig ab. Das kann zudem noch durch Absetzungs- und Ausnahmeregelungen verstärkt werden.
DR Eisendraht
2009-11-15 18:44:30 UTC
Aber sicher doch! Kommt nur auf den Blickwinkel an!


Dieser Inhalt wurde ursprünglich auf Y! Answers veröffentlicht, einer Q&A-Website, die 2021 eingestellt wurde.
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